Jochen Müller – ein deutsches Seglerschicksal, ein Nachruf
Verfasst von HvS am 28.09.2012 09:15:08


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Jochen Müller ist auf seine letzte Fahrt gegangen.

Ein deutsch-deutsches Seglerschicksal

von Klaus Hympendahl, khympendahl@t-online.de

Die Älteren kennen noch Gerd Müller, auch Jochen genannt. Er war ein Vollblutsegler, ein Mann der vom Meer angezogen war wie kein zweiter, einer der die See als Berufsseemann kannte sowie als Weltumsegler. Ihm konnte auf dem Wasser kaum einer etwas vormachen.

So erfüllt auch sein Leben verlief, so dramatisch waren Anfang und Ende.

Er wurde als Gerd Garbrands 1931 in Berlin geboren und zur Adoption frei gegeben. Seine neuen Eltern gaben ihm den Namen Hans-Jochen Müller. Er wuchs in Bad Köstritz, Thüringen, auf. Sein Berufsweg führt ihn direkt zur Ostsee, zur Marinelaufbahn in der damaligen DDR. Er schaffte es bis zum Kommandanten.

Offensichtlich konnten seine Frau Christa Müller und die drei Kinder diese Liebe zur See nicht teilen, denn die Ehe zerbrach und er hatte wohl nur sehr lockeren Kontakt zu seinen Kindern.

1960 „machte er rüber“ in den Westen. Er fing eine neue Karriere als Galvano-Ingenieur an. Aber es zog ihn schnell wieder zur See - als Segler. Er kaufte sich eine Stahlyacht vom Typ Amer 36 und ließ sie nach seinen Wünschen modifizieren. Sein 11 m langes Schiff taufte er auf den Namen RAIREVA, ein polynesischer Name. Damit war klar, wohin die Reise gehen sollte.

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Raireva unter Passatsegel

Seine Pläne konnte Jochen realisieren, als er ein neues Verfahren zur Kunststoff-Galvanisierung erfand, darüber ein Buch veröffentlichte und Patentrechte erteilt bekam. Im August 1966 startete er mit seiner späteren Frau Leni Horstmann eine Weltumseglung. Es waren vor ihm nur ganz wenige Deutsche, die diese Reise gewagt hatten, darunter waren Wilfried Erdmann und das Ehepaar Koch.

Jochen und Leni waren in der Tat waghalsiger Segler. Alle drei Stunden lösten sie sich am Ruder ab, denn es gab keinen Autopiloten an Bord, wie heute üblich. Dazwischen musste die Standortbestimmung mit dem Sextanten gemacht werden. Das war für beide eine Tortur. Von Rotterdam über die Karibik, den Pazifik, Neuseeland, Australien, den Indischen Ozean bis nach Durban in Südafrika steuerten sie das Boot per Hand - zu Zweit (!); es sei denn sie konnten es auf langen Strecken mit einer speziellen Segelstellung steuern. Erst in Durban bauten sie sich eine Aries-Windfahnensteuerung ein - nachdem sie ca. 4/5 ihrer Weltumseglung hinter sich hatten.

Sieben Jahre waren die beiden auf Weltumseglung. Fast zu lange, um wieder Fuß zu fassen. Aber sie schafften es. Aufgrund seiner Reputation als Entwickler eines Galvano-Verfahrens bekam Jochen eine Stelle als Abteilungsleiter beim Chemie- und Pharmakonzern Schering in Berlin mit entsprechendem Gehalt. Es war ein guter Neustart. Später zog er mit Leni nach Solingen, denn hier lag der Schwerpunkt deutscher Galvano-Unternehmen.

Jochen Müller erhielt vom Trans Ocean Verein im Jahr 1973 die höchste Auszeichnung: den TO-Preis und die TO Medaille. Kurz darauf wurde er in den Vorsitz der Jury des Trans Ocean Vereins gewählt.

imageSeine Frau Leni verstarb nach schwerer Krankheit 1994. In späten Jahren fand Jochen noch seine Lebensgefährtin, Margot Meyer-Berge aus Dormagen, mit der er glückliche Jahre verlebte, bis er im Jahr 2005 an Demenz und Parkinson erkrankte. Er wurde im Altenheim in Dormagen gut betreut. Ich habe ihn dort mehrfach besucht, leider konnte er nicht mehr mit mir sprechen. Ob er mich wahrgenommen hatte, weiß ich nicht. In seinem Zimmer hing die Weltkarte mit der eingezeichneten Route seiner Weltumseglung und es gab einige Erinnerungsstücke dieser Reise sowie seine geliebten Segelbücher.

Anfang der 80er Jahre besuchte ich Leni und Jochen oft auf ihrem Boot im Düsseldorfer Yacht Club (DYC). Es gab sonntags Kaffee und Kuchen. An diesen Tagen entdeckte ich mehr hinter ihm: Seine feine Zurückhaltung. Er war nie drängend oder "vordrängend" wie heute üblich, immer auffallend zurückhaltend. Er hatte einen sehr feinen Humor. Und er war stets ehrlich - mehr Sein als Schein war seine Devise.

Während er erzählte, hatte er stets (noch) am Boot zu basteln, denn sie planten weitere Törns. Schwerpunkt ihrer beider Erzählungen war jedoch meist ihre Weltumseglung. Ich hörte aufmerksam zu, war wissbegierig und langsam entsprang diesen Gesprächen der eigenen Wunsch, selbst um die Welt zu segeln. Was ich denn auch tat.

Dank Jochen Müller.

 


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