Diesmal mit knapp 100 Knoten und einem Tornado über Lefkada
von Richard Gailer & Birgit Best
SY IJABA, E-Mail: ijaba@gmx.de
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Vielen Seglern ist das Ionische Meer als ideales Familien Revier oder angebliches Schwachwind Revier bekannt. Meine Lebensgefährtin und ich verbringen seit einigen Jahren jedes Jahr mehrere Monate auf unserer 42 Fuss Segelyacht und kennen dieses Gebiet wie unsere Westentasche. Freunde sagen bereits, dass wir doch bestimmt schon jede Bucht und jeden Hafen zwischen Korfu und dem Peloponnes bei jeder Mondphase gesehen haben müssten. Was wohl auch (fast) zutrifft. Wir ankern fast ausschliesslich in Buchten, ganz selten in Stadthafen und noch seltener sind wir in Marinas anzutreffen. Segler, die dieses Gebiet bereits besucht haben, schätzen die kurzen Strecken, die vielfältigen Ankermöglichkeiten, den Flair und die Gastfreundschaft aber auch die Sicherheit des Reviers. Wenngleich dieses "Schwachwind Revier" nicht zu unterschätzen ist. Oft entwickelt sich innerhalb weniger Minuten an manchen Stellen aus einer Flaute heraus ein kräftiger 5er mit einer unangenehmen kurzen und steilen Welle. Dennoch ist das Ionische Meer, verglichen mit der €gäis viel einfacher zu erkunden, weil übersichtlicher, weniger Wind und schnell erreichbarer, sicherer Rückzugsgebiete.
Eines dieser unter Seglern bekannten und beliebten sicheren "Hurricane Holes" bei Gewitter oder auch Sturmwarnung ist der rundum geschlossene Vlychon (Vlicho) auf der Ostseite der Insel Lefkas bei Nidri. Wir haben hier schon manches Gewitter mit Bäen gut über 40 Knoten abgewettert und fühlten uns immer sicher. Ausser, wenn andere, vielleicht etwas unerfahrenere Segler ihren Anker nicht vernünftig ausgebracht hatten und bei etwas mehr Wind zu slippen anfingen. Bei ganz unbedarften "Kollegen" begann das Slippen auch schon mal bei 20 Knoten Wind. Die alte und unserer Erfahrung nach absolut falsche Faustformel von der dreifachen Wassertiefe als Kettenlänge ist bei viel Wind für den Ankerer selbst, seine Crew, sein Boot und alle Nachbarboote einfach nur Stress und fahrlässig. Zu viele solcher rutschenden Yachten haben wir schon gesehen und den Stress und Schaden, den sie sich und Anderen zufügten eben auch.
Nun aber wieder zum sicheren „Hurricane Hole“ Vlychon.
Diesmal war er eine Tornado Falle für viele Dutzend Yachten.
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Wir ankerten in Erwartung starker Südwinde bereits am 19.9.11 mittags im südlichsten Bereich des Vlychon - nicht nur deshalb im Süden, um weniger Welle abzubekommen, sondern gerade eben auch deshalb, um keinen rutschenden Zeitgenossen vor uns zu haben. Die Starkwinde und Gewitterböen während der Nacht steckte unsere 42er Jeanneau vor 40 Meter Kette an einem 20 Kilo Delta Anker auf 5-6 Meter Wassertiefe problemlos (wie immer) weg. Auch bei uns ist dies Routine und keine allzu gro§e Sache mehr. Unser Hand GPS liegt neben dem Bett und würde bei zuviel Bewegung sofort Alarm geben. Das nennen wir Sicherheit und Komfort gleichzeitig, denn eine Ankerwache mit einer Zweimann Crew ist über einen längeren Zeitraum einfach nicht machbar.
Da keine einzige Wettervorhersage Sturmwarnung gegeben hatte, fühlten wir uns auch für den 20.09.11 im Vlychon gut aufgehoben, wie immer und wie alle anderen auch. Trotzdem verlängerten wir auf über 60 Meter Kette und brachten einen Fortress Zweitanker an 50 Meter Leine aus, weil ein griechischer Wetterdienst noch kurzfristig mägliche 7 bis 8 Bft. in Bäen gemeldet hatte.
Aber es kam anders. Ganz anders.
Am späten Nachmittag des 20. bricht innerhalb weniger Sekunden ein ohrenbetäubender tosender Sturm auf diesem kleinen "See" mit nicht einmal 2km Länge aus, der unsere Yacht fast platt auf das Wasser drückt. Mal rechts, mal links. Innerhalb Sekunden schie§t Wasser aus den Waschbecken, Laptops, Geschirr und Mäbelteile fliegen quer durch unser Boot. Unser Laufdeck ist trotz des enorm hohen Freibords wegen Krängung und Welle komplett überspült. Wir schliessen in diesem tobenden Chaos noch verzweifelt alle Schotts und sehen mit Grauen zu, was da draussen abläuft. Eine Krängung und auch eine Welle, wie wir sie für dieses Boot in einer rundum Êabgeschlossenen Bucht dieser Grä§e niemals erahnt oder befürchtet hätten. Wir sehen unsere Nachbarin, eine gro§e Hallberg Rassy mit den gleichen Urgewalten kämpfen und hoffen, oder beten vielmehr inständigst, dass unsere Anker (einigermassen) halten würden, wir keinen Wassereinbruch bekommen und dass es zu keiner Kollision mit anderen Yachten kommen würde.
Den Gedanken, mit Maschine irgendwie gegenan motoren zu kännen, verwerfen wir sofort wieder: Erstens ist das Cockpit durch das herumschlagende zerstärte Bimini praktisch unpassierbar. Zweitens kann sich kaum einer vorstellen, was diese Krängung an einem Doppelsteuerstand bedeutet. Drittens hätten wir bei über 90 Knoten Wind kaum in den Wind, sondern vielleicht nur noch schlimmere 90 Grad dazu halten kännen. Viertens befürchteten wir Schäden an Propeller oder Welle durch Treibgut oder das Ein- und Austauchen des Propellers aus dem Wasser (was bei Seglerfreunden zu einem zerstörten Propeller und einer verbogenen Welle führte). Fünftens wäre die Maschine möglicherweise bei dieser Krängung wegen fehlender Schmierung zerstärt worden. Egal, wir kamen sowieso nicht mehr bis zum Anlasser durch das Cockpit durch.
Unter Deck bringen wir trotz dieser wechselnden Krängung umherfliegende Gegenstände und uns einigermassen in Sicherheit. Wir wissen: wir haben ein gutes verlässliches Schiff, gute Anker, viel Kette und hoffentlich viel Platz um uns herum und kein driftendes Boot in der Nähe. Au§erdem kann doch so etwas nicht lange dauern. Oder?
Nach unendlichen 10 oder auch 20 Minuten - wir haben keine Zeit auf die Uhr zu sehen - härt der Spuk genauso schlagartig auf, wie er angefangen hat. Rauf und raus und schnell einen Überblick verschaffen. Mein Gott!
Der sonst so friedliche Vlychon sieht aus wie nach einem Tsunami: Treibende Boote, Beiboote, Paddel, Rettungsringe, €ste, ein Schuh, zerfetzte Segel, wohin man schaut, zerfledderte oder ganz fehlende Biminis, Sprayhoods oder Kuchenbuden, zusammenhängende Yachten (2, 3 und sogar 4).
Einige über Bord gegangene Segler auf anderen Yachten konnten sich Gott sei Dank aus eigener Kraft an Land retten.
Aber es gibt auch noch schlimmere Schäden: Wir sehen gekenterte Yachten, einen durchgekenterten Katamaran, jede Menge gebrochener Masten, Yachten mit dem Heck auf der Pier ohne Ruder und in der Werft am Nordende des Vlychon unzählige umgefallene Yachten an Land, aber auch zahlreiche gestrandete Yachten. Sirenen und Lautsprecher an Land. Ein Albtraum für jeden, der dies miterlebt hat.
Unsere materiellen Schäden sind verglichen mit diesen Ausmassen nur gering, aber der Schock sitzt tief.
Man telefoniert sofort mit Seglerfreunden und erfährt nach und nach das schreckliche Ausmass dieser Katastrophe.
Der Tornado (Augenzeugen haben den Schlauch von Nidri aus gesehen) mit einer Spitzengeschwindigkeit von knapp 100 Knoten (ca. 180 km/h) hat an hunderten von Yachten und auch an Land zum Teil erhebliche Schäden hinterlassen, und am traurigsten: Er hat Êauch Todesopfer gefordert.
Das "Schwachwind-Revier" Ionisches Meer hat sich von einer ganz anderen Seite gezeigt und seine ganze Urgewalt aufgeboten - aber offensichtlich nur auf diesen 2 qkm.
- Hätte diese Katastrophe nicht vorhergesagt werden kännen?
- Hätte es nicht mindestens eine Sturmwarnung über Navtex geben müssen?
- Einheimische erzählten uns, dass es solch ein Phänomen schon einmal an diesem Ort gegeben haben soll - vor ca. 16 Jahren.
- Viele Segler hätten bei einer entsprechenden Warnung noch eine sichere Marina erreichen kännen.
Was haben wir bestätigt bekommen?
- Bei Gewitterstimmung liegt unser Ölzeug, Rettungsweste und Life Belt sofort griffbereit. Einige andere Segler gingen über Bord.
- Ein immer perfekt eingefahrener Anker hat unser Schiff und uns vor Schäden bewahrt. Viele andere Yachten sind zum Teil hunderte (!) von Metern durch die Bucht gerutscht.
- Auch am Ankerplatz bei solchen Wetterverhältnissen innen und aussen alles gegen Herumfliegen sichern.
- Seeventile auch am Ankerplatz bei solchem Wetter schliessen.
- und und und
Wir sind glücklich, diesen Tornado mit fast 180 km/h auf unserer Yacht überlebt und fast unbeschadet überstanden zu haben, aber wir bedauern zutiefst alle, die viel verloren haben oder verletzt wurden und trauern um Menschenleben, die diese Naturgewalt gefordert hat.