Meinung und Erfahrung eines TO-Mitglieds - möchte nicht genannt werden -
Betreff:
Artikel in Der Spiegel, Nr. 14, vom 4.4.2011, von Beate Lakotta zum Hamburger Prozess gegen somalische Piraten: „Ich wollte nur überleben“
Hier der Artikel des SPIEGEL als PDF zum Downlaod
Wir sind gerührt und den Tränen nahe nach der Lektüre über den Prozess gegen die zehn somalischen Piraten in Hamburg. Mal wieder ein herzzerreissender Bericht von und über unsere(n) ehrenwerten Gutmenschen und Menschenrechtlern. Nur, die Realität ist eine andere. Angefangen mit der Frage „warum ist Somalia wie es ist?“ Hat das eventuell etwas mit den Somalis selbst zu tun? Interessant, was man hier in Ostafrika darüber zu hören bekommt...
Kommen wir zu den Tatsachen, sehr geehrte Frau Lakotta und vorallem, verehrte Herren Anwälte Pohlen und Blumenstein. Somalische Piraten gehen mit äusserster Gewalt und Brutalität vor - auch die minderjährigen - und sie gehen über Leichen, da wird nicht lange gefackelt! Es gab allein im ersten Halbjahr 2011 schon 7 tote und 39 verletzte unschuldige Seefahrer. Diejenigen, die die monatelange Geiselhaft lebend überstanden haben, könnten Ihnen eine Menge über Misshandlungen, Folter, Zwangstrennung von Paaren und Scheinhinrichtungen berichten. Für manche allerdings kommt jede Hilfe zu spät. Sie sind entweder an Mangelernährung oder Krankheit elend zu Grunde gegangen oder haben sich aus lauter Verzweiflung selbst das Leben genommen.
Zur Zeit befinden sich mindestens 439 Seeleute als Geiseln in Somalia. Über 13 Monate war das englische Seglerpaar Paul und Rachel Chandler in Geiselhaft. Seit November 2010 sind die Südafrikaner Bruno Pelizzari und Debbie Calitz, die wir persönlich kennen, in Somalia verschollen. Seit Februar 2011 sind 7 dänische Segler, darunter 3 Jugendliche, in den Händen von Somali Piraten. Dazu konnte man in der Presse lesen, dass der zuständige Piratenchef die 13-jährige Seglertochter zur Frau haben will. Laut Berichten aus der schwedischen Presse erhalten die dänischen Segler zur Zeit an nur 3 bis 4 Tagen pro Woche Nahrung. Die vier Amerikaner von der Segelyacht QUEST kann man leider nicht mehr fragen, sie wurden kurzerhand ermordet! Da kam das deutsche Seglerpaar Jürgen Kantner und Sabine Merz noch glimpflich davon mit nur knapp 2 Monaten Geiselqual – der Deutsche Staat hat flink gehandelt. „Erpresst von Piraten“ heisst der 2009 vom WDR darüber gedrehte Dokumentarfilm. Schauen Sie Sich den mal an. Oder besser, lassen Sie Sich doch von Kantner/Merz die Situation in Somalia beschreiben, oder noch besser, sprechen Sie mit den Chandlers, die mehr als 13 Monate in Somalia ausharren mussten.
Schon die Überschrift Ihres Artikels, Frau Lakotta, ist irreführend und verzerrt: „Ich wollte nur überleben.“ Warum denn bitte sprang Abdiwali über Bord und wartete auf einen Hai: „ich wollte, dass das Meer mich schluckt“? Angst vor Folter oder Hinrichtung? Doch nur weil er sich seiner Schuld bewusst ist: „was ich getan habe, kann man nicht rechtfertigen, aber...“. Abdiwalis Äusserungen sprechen Bände. Er weiss genau, welchen Knopf er drücken muss, damit die Verteidigung dahinschmilzt vor Mitleid mit diesem armen „Hungerleider“. Dazu gehört auch, dass er den deutschen Rechtsstaat mal als „nicht gerecht“ bezeichnet und dann wieder als „Wunder der Erde“. In Somalia wird man sehr früh erwachsen und lernt schnell, was einem zum Vorteil gereicht.
Es hat sich in Somalia längst herumgesprochen, dass speziell die Europäischen Einheiten die Piraten mit Samthandschuhen anfassen. „Wir sehen sie, können aber nichts tun, solange wir sie nicht in flagranti erwischen.“ Diese Aussage stammt von der Besatzung der Fregatte KARLSRUHE, die wir August 2002 in den Seychellen trafen. Die KARLSRUHE war zu dieser Zeit im Golf von Aden an der Operation Enduring Freedom gegen die Piraterie beteiligt. Die Konsequenz der milden Vorgehensweise: das Erfolgsmodell Piraterie nahm stetig zu. Dies wiederum verlangte nach immer mehr Militärpräsenz und führte schliesslich dazu, dass sich die Piraten immer weiter im Indischen Ozean ausbreiteten. Die Schiffe werden nun abgefangen schon lange bevor sie den Golf von Aden überhaupt erreichen, bzw. erst nachdem sie ihn verlassen haben. Das macht die aktuelle Situation für die Schifffahrt sehr viel schwieriger und gefährlicher und die vermeintliche Bekämpfung erheblich aufwendiger und natürlich teurer.
Heutzutage operieren die somalischen Piraten im gesamten westlichen Indischen Ozean, im Norden bis kurz vor Pakistan, im Osten bis nach Indien und den Malediven, im Süden bis Nord Madagaskar, es gab sogar schon Überfälle im Kanal von Mozambik bis auf 19° Süd. Und die Piratenflotte wird immer grösser. Inzwischen operieren gekaperte Frachter, Fischerboote oder motorisierte Transport-Dhows als Mutterschiffe – und ermöglichen eine fast endlose Reichweite und einen wesentlich bequemeren Aufenthalt auf dem rauen Meer. (Fotos von den Mutterschiffen werden, sofern vorhanden, mit den Warnungen auf der NATO Website veröffentlicht.) Doch sollte sich eine Fregatte so einem gekaperten Frachter nähern, werden die Geiseln als lebende Schilde vor die Knarre gespannt und die Fregatte wird gezwungen abzudrehen.
Da kann man nur sagen Hut ab vor den Seychellois. Diese kleine Inselrepublik, von Seehandel, Tourismus und Fischerei abhängig, hatte nur eine Option und die hiess, rigoros gegen die Piraten vorzugehen. Sie haben es geschafft, natürlich u.a. auch mit fremder Hilfe. Seitdem werden die Seychellen mehrheitlich verschont, die Piraten haben ihre Lehre daraus gezogen!
Und von wegen, man habe den armen Somalis die Fischgründe leergefischt. Sicher gab es auch illegale ausländische Fischer, wie vielerorts im Indischen Ozean, nur, eine darunter leidende somalische Fischereiindustrie gab es keine, weil nicht existent. So wie es auch sonst nicht viel gibt in Somalia, dank der endlosen und kompromisslosen Machtgerangel der verschiedenen Clans und fundamentalistischen Gruppierungen.
Sorry, eins funktioniert doch – die Piraterie! Ein äusserst lukratives Geschäft für alle Beteiligten. Laut Schätzungen des US Department of State lag die Gesamtsumme der Lösegelder für 2010 bei US$ 75 – 85 Millionen, eine im Mai 2011 von Geopolicity veröffentlichte Studie spricht gar von bis zu US$ 238 Millionen durch Piraterie erwirtschaftetes Einkommen in 2010.
Persönlich waren wir nah dran, selber gekapert zu werden, als wir uns mit unserer Segelyacht im September 2010 von Madagaskar kommend der südtanzanischen Küste näherten. Am Morgen vor unserer Ankunft (um 24 Uhr) erreichte uns eine Warnung vom Antipiraterie-Hauptquartier der Französischen Marineeinheit im Indischen Ozean (ALINDIEN) „seht euch vor, die somalischen Piraten sind gerade vor der tanzanischen Küste aktiv geworden“. Die seychellischen Gewässer waren durch konsequentes Handeln inzwischen für Piratenaktivitäten zu riskant geworden, somit verlagerten sich die Piraten nach westen in bis anhin piratenfreie Gewässer. Der Überraschungseffekt gelang: allein zwischen dem 25. und 28. September 2010 gab es 4 Piratenüberfälle in tanzanischen Gewässern, einer davon erfolgreich. Und es mussten erst weitere 24 Überfälle folgen, bis die Ernsthaftigkeit der Situation verstanden wurde. Dank drastischem Eingreifen sind die ostafrikanischen Küstengewässer momentan sicher vor Piraten und der Kanal von Mozambik wird neuerdings von südafrikanischen Truppen überwacht, die auch nicht zimperlich sind. Bleibt der riesige Rest des westlichen Indischen Ozeans, der einfach zu weiträumig ist, um von den internationalen Marineverbänden mit leider oft wenig robustem Mandat ausreichend gesichert zu werden.
Bis zu 8.3 Milliarden Dollar hat die Piraterie 2010 die Weltgemeinschaft gekostet: Marineeinsätze, Lösegelder, erhöhte Versicherungsprämien, Umleitungen von Schiffsrouten, Sicherheitspersonal, etc. Der Erfolg: am 14. Juli 2011 schrieb das IMB (International Maritime Bureau) in einer Veröffentlichung: „In den vergangen 6 Monaten gab es mehr Piratenattacken auf Schiffe durch Somalis denn je zuvor und die Piraten sind bereit grössere Risiken einzugehen [...] Bei den Überfällen kommen immer öfter automatische Waffen und Panzerfäuste zum Einsatz.“ Die somalischen Piraten haben schnell dazugelernt, was man von unseren Piratenjägern wohl nicht behaupten kann. Sonst hätte man die Seuche bereits im Keim erstickt und die heutige Situation wäre eine andere. Aber noch immer wird nur ein Bruchteil der gefassten Piraten überhaupt vor Gericht gestellt, und davon wiederum nur ein kleiner Teil schuldig gesprochen und hinter Gitter gesteckt. Die allermeisten werden lediglich entwaffnet und nach Somalia zurückgebracht - mit dem Erfolg, dass sie mit dem nächsten Boot wieder rausfahren und genauso weitermachen wie bisher. Wie sagte US Admiral Fitzgerald bereits im April 2010 so treffend: „catch and release (wie man es in der Sportfischerei macht) funktioniert halt nicht“.
Ein paar Zahlen des IMB:
01.01.2010 – 29.12.2010:
218 Piratenüberfälle durch Somalis
47 erfolgreiche Kaperungen (von 51 weltweit)
1001 Geiseln
01.01.2011 – 13.06.2011 (also erst knapp 5 ½ Monate):
151 Piratenüberfälle durch Somalis
21 erfolgreiche Kaperungen (von 26 weltweit)
362 Geiseln
7 getötete Seefahrer
39 verletzte Seefahrer
Am 30.06.2011 befanden sich laut IMB 23 Schiffe und 439 Geiseln in Somalia.
Neuerdings heisst es in Pressberichten bezüglich Hamburger Prozess, dass die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens und die Entlassung ihrer Mandanten aus der Untersuchungshaft gefordert habe, weil sie nach dem Überfall auf den Hamburger Frachter TAIPAN von der niederländischen Marine nicht innerhalb von 48 Stunden einem Ermittlungsrichter vorgeführt wurden. Das verstosse gegen das Völkerrecht...
Womit wir wieder beim Anfang dieses Berichts angekommen wären.
Wie wohl die niederländischen Marinesoldaten darüber denken? Ob sie jemals wieder ein deutsches Schiff unter Einsatz ihres Lebens befreien werden?
Einziger Lichtblick für die Seefahrt: da die zehn Piraten ja voraussichtlich nicht nach Somalia abgeschoben werden können, gibt es immerhin 10 weniger auf dem Indischen Ozean. Abgesehen davon, dass sie in Somalia sicherlich als Helden empfangen würden. Nun werden sie lediglich dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche liegen, der für ihre „Resozialisierung“ aufkommen darf, wobei das „Re“ wohl nicht zutrifft.
Natürlich geht es nicht ohne Menschenwürde und –Rechte in einer zivilisierten Welt. Wenn man jedoch Ihren Artikel liest, Frau Lakotta, kann man nur mit dem Kopf schütteln. Steigen Sie auf ein Schiff (und nehmen Sie bitte die Herren Anwälte mit), lassen Sie Sich von somalischen Piraten kapern, sammeln Sie Erfahrungen – und dann, sofern Sie lebend aus dieser Hölle entkommen, ja dann schreiben Sie nochmal über die hübschen somalischen Piratenjungs.
Grüsse aus Ostafrika
Anbei noch die Pirateriekarten des IMB für 2010 und 2011 (Stand 18.Juli).
Zur Zeit herrscht starker Südmonsoon. Mal sehen, wie sich die Situation entwickelt, sobald der Wind nachlässt...
Quellen:
www.icc-ccs.org (IMB)
www.shipping.nato.int/CounterPir (NATO)
www.mschoa.org (EU Navfor)
www.oni.navy.mil (US Office of Naval Intelligence)
www.state.gov/t/pm/rls/rm/159419.htm (US Department of State)
www.defense.gov/news/newsarticle.aspx?id=58776 (US Department of Defense)
www.geopolicity.com/upload/content/pub_1305229189_regular.pdf (Geopolicity)