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Reisebericht

I want to be a part of it



I want to be a part of it

28. April 2022
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Es war ihr absoluter Traum, den sich Ellen-Maria und Christoph Nelles nach ihrer Atlantiküberquerung und sonnigem Karibiksegeln erfüllt haben: Einmal nach New York, einmal vom Wasser aus der Lady Liberty zuwinken, einmal auf eigenem Kiel, oder besser Kielen, an ihr vorbeisegeln. 2019 wurde der Traum war. Ellen-Maria und Christoph Nelles steuerten mit ihrer Joya, einem Katamaran Privilege 585, die Freiheitsstatue an und - blieben natürlich auch gleich ein wenig länger in New York:

 „New York, New York“ singen wir gemeinsam mit Frank Sinatra während wir mit unserem Segelkatamaran Joya über den Eastriver nach New York einfahren, vorbei an der atemberaubenden Skyline von Manhattan. Einige Seemeilen zuvor hatten wir das berüchtigte Hellgate durchquert, geschoben mit 4 Knoten Strom Richtung Südwesten. 

Wir queren den Hudson River in Richtung Liberty Island, als sich von Backbord die gelb leuchtende Staten Island Fähre nähert. Obwohl auf Kollisionskurs, vermuten wir, dass die Fähre mit einer kleinen Kurskorrektur hinter Joya durchfahren wird. Weit gefehlt. Die Fähre hält unerbittlich ihren Kurs und kommt rasant näher. Christoph entschließt sich nach Steuerbord auszuweichen. 

Was jetzt passiert überrascht uns alle sehr. Obschon zu keinem Zeitpunkt eine Kollisionsgefahr bestand und genügend Raum für ein Ausweichmanöver vorhanden war, schießt wie aus dem Nichts das Schnellboot der Küstenwache an Joyas Seite und wir sehen uns dem Lauffeuer eines Maschinengewehrs gegenüber. Überrascht erstarren wir reflexartig, während Christoph sich mit großer Geste entschuldigt. Die Küstenwache reagiert nicht. Die Spannung steigt und unsere Nerven vibrieren im Adrenalinrausch. Dann bemerken wir zu unserer Erleichterung, wie sich die bedrohliche Mimik der Beamten entspannt und einer von ihnen uns laut entgegenruft: „Hey, welcome to New York!“ Wir atmen auf, wahrscheinlich sind hier alle seit 9/11 in angespannter wachsamer Bereitschaft. Joya setzt ihren Kurs fort und wir umrunden die Freiheitsstatue, um direkt hinter Liberty Island den Anker fallenzulassen. Jetzt können wir die Gigantin in aller Ruhe betrachten, denn so nahe waren wir ihr noch nie. Mit grüner Patina überzogen schreitet Miss Liberty mit kraftvoller Pose voran. Die Fackelträgerin entstand 1885 nach den Plänen des Bildhauers Frédéric Auguste Bartholdi und erhielt von Gustave Eiffel ihr stählernes Korsett. Von unserem Ankerplatz aus staunen wir, wie sich das Farbenspiel des Sonnenuntergangs in Manhattans gläserner Skyline spiegelt. Das One World Trade Center sticht imponierend wie ein Pfeil aus gleißendem Licht aus dem Meer der Wolkenkratzer hervor. 

Tagsüber erobern wir New York mit unseren Fahrrädern und sind auf dem hervorragenden Fahrradnetz in dieser turbulenten Großstadt unterwegs. Das Anlanden mit dem Dinghi ist jedes Mal eine Herausforderung und die Liberty State Marina mit 30 Dollar ein teurer Parkplatz für den Tag. 

Es ist herrlich in den Bauch dieser Stadt einzutauchen, die Kunst in den Museen zu genießen und das bunte Treiben am Time Square zu erleben. Mit den Bikes radeln wir über die Brooklyn Bridge und zurück über die Manhattan Bridge, entlang der Piers am Hudson River und umrunden den Central Park. Im Rahmen der „Open Stages“, einer kulturellen Initiative, die Konzerte und Theater in den Parks der Metropole organisiert, erleben wir in Harlem das Charlie Parker Jazzfestival. Inmitten des musikbesessenen Publikums bewundern wir die lebhafte und kreative Musikalität Harlemer Jazzgrößen, wie Fred Wesley, der schon mit James Brown zusammengearbeitet hat.

Am Bryant Park, eine grüne Oase in Midtown, organisieren wir uns im nahe gelegenen Whole Food Markt eine Kleinigkeit zum Lunchen und hocken uns damit gemütlich auf eine Bank und beobachten die flanierenden Menschen und das bunte Treiben der Straßenkünstler.

Mit dem letzten Licht bringt uns die Fähre wieder zurück nach Liberty Island, wo das Dinghi auf uns wartet. Wir verstauen die Fahrräder und tasten uns vorsichtig über das aufgeschaukelte nächtliche Fahrwasser zu unserem floating home am Ankerplatz vor der Statue of Liberty. 

Am folgenden Tag verholen wir unser Boot vor das ehemalige Einwanderungszentrum Ellis Island und sind dem Kosmos Manhattan jetzt noch näher. Der Ankergrund besteht aus gut haltendem Schlick, auf drei bis vier Metern und wiederholt können wir kaum glauben, dass wir hier inmitten dieser turbulenten Weltstadt so ruhig vor Anker liegen können. Plötzlich ist die Joya Mittelpunkt einer Segelregatta des örtlichen Segelclubs und wir verfolgen gespannt die Manöver der verschiedenen Crews. 

Unter vollem Tuch gleitet Joya über den Hudson River nach Norden, vorbei an den vier ehemaligen Landungsbrücken, den heutigen Chelsea Piers und der High Line, eine stillgelegte und begrünte Hochbahnstrecke, auf Höhe der 17th und 23rd Streets, bis weit hinter die Upper West Side. Wir erleben eine unvergleichliche Hafenrundfahrt auf den eigenen zwei Kufen. Natürlich haben wir in dieser Zeit viel Besuch und freuen uns über die Familie und Freunde, mit denen wir diese außergewöhnliche Zeit in New York gemeinsam erleben. Joya wird zum privaten Ausflugsdampfer, der regelmäßig zwischen Long Island und Manhattan hin und her pendelt. 

Einige Nächte verbringen wir vor Long Island, mit Blick auf die Lichter der Stadt, die niemals schläft. Mit der Long Island Railroad fahren wir in 45 Minuten bis zur Penn-Station in das pulsierende Herz von Manhattan. 

Während eines dreiwöchigen Heimataufenthaltes lassen wir Joya in Port Washington für 25 Dollar pro Tag an einer Mooring sicher zurück. 

Bei unserer Rückkehr entdecken wir, dass der Kiel von einer mehreren Zentimetern dicken schwammähnlichen Schicht überwuchert ist, die sehr lebendig wirkt. Bei genauerer Betrachtung finden wir Unmengen kleiner Würmer und gallertartiger Mollusken vor, die Joya als schwimmendes Riff bevölkern. Christoph schwingt sich ins Wasser, um das Unterwasserschiff zu reinigen, während ich es vom Kayak aus versuche. Anschließend ist sein Neopren massenhaft von kleinsten Würmern und durchsichtige Krebschen bedeckt.

Größeren urzeitlichen Kreaturen begegnen wir bei unserem morgendlichen Strandspaziergang auf Long Island. Merkwürdig aussehende braune Schüsseln, die uns an Soldatenhelme erinnern. Die Recherche im Internet setzt unserem Rätseln ein Ende. Diese urzeitlich wirkenden Kreaturen sind Pfeilschwanzkrebse (Limulidae), auch Molukkenkrebse oder Hufeisenkrebse genannt. Älter als die Dinosaurier sind Pfeilschwanzkrebse wahrscheinlich die Schwestern aller an Land lebenden Spinnentiere. Pfeilschwanzkrebse sind blaublütige Lebensretter. Ihr Blut hilft beim Erkennen von Keimen in Impfstoffen und Infusionen, indem es bei Kontakt mit Krankheitserregern ausflockt wie geronnene Milch. Etwa ein Fünftel ihres Blutes wird abgezapft. Jedes Jahr werden mehr als eine halbe Million Krebse entlang der Atlantikküste der USA gefangen. Wir nehmen uns vor, jede dieser harmlosen, blaublütigen Krabben, die auf dem Rücken liegen, wieder auf die Beine zu helfen. 

Nach drei aufregenden Wochen in und rund um den New Yorker Big Apple, versinken die gigantischen Wolkenkratzer der Stadt langsam in Joyas Kielwasser. 

New York hat uns als ungewöhnliches urbanes Segelrevier mit spektakulären Ankerplätzen begeistert. Dank der Fahrräder waren wir nach Lust und Laune mobil unterwegs und konnten mal wieder Kreislauf und Waden trainieren.

Jetzt ziehen wir, wie die Zugvögel weiter nach Süden und sind gespannt auf die ruhigen Gewässer der Chesapeake Bay. 

Ellen-Maria und Christoph Nelles (Text und Fotos)
SY Joya


 


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