Verstanden

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Reisebericht

Sehnsuchtsort in den Bahamas



Sehnsuchtsort in den Bahamas

28. Oktober 2022
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Seit drei Jahren sind Wiebke und Ralf Gerking mit ihrer SY Flora, einer Hallberg-Rassy 43 MK II, unterwegs. Von Griechenland ging es damals durchs Mittel­meer und dann über den At­lan­tik. Die Bahamas und dort be­son­ders ein klei­ner ver­steck­ter Fleck im wei­ten Tür­kis waren eines ihrer Lieb­lingsz­iele, bevor sie den näch­sten Ozean an­steu­erten. Eine Fas­zi­na­tion in Blau.

Was für ein Abschied von den US Virgin Islands. Wir setzen die Passat­segel, gleiten durch den Sund zwischen St. Thomas und Hans-Lollik-Island. Der Insel­name er­in­nert an die bis ins letzte Jahr­hun­dert rei­chen­de däni­sche Ge­schich­te der heute zu den USA ge­hö­ren­den Inseln. Nach einer be­weg­ten Ge­schich­te wurde 1666 auf St. Thomas der Danne­brog gehisst, die Insel gehörte von nun an als Kolo­nie Dä­nisch-West­indien zu Däne­mark-Nor­we­gen. 1672 wurde auf St Thomas als erste Insel von däni­schen Aus­wan­de­rern be­sie­delt. Erst 1917 wur­den die Inseln von Däne­mark an die USA ver­kauft, die hier im ersten Welt­krieg einen Flotten­stütz­punkt benö­tigten.

Für uns als alte Ostsee­segler ist besonders der Export von Zucker und Rho-Rum (“Killdevil” genannt)  in die damals zu Däne­mark gehörende Stadt Flens­burg, wo er ver­schnit­ten und ge­la­gert wurde. Über 20 Rum-Häuser soll es zur Blüte­zeit im 18. Jahr­hun­dert in Flens­burg gege­ben haben, ein oder zwei gibt es noch heute und so bleibt die heute nord­deut­sche Stadt dem Rum verbunden (und wir mit ihr).

Ein Katamaran kreuzt uns entgegen, es ist die Vairea mit unse­ren Schwei­zer TO-Vereins­kame­raden Martina und Daniel, von denen wir uns also doch noch win­kend und rufend ver­ab­schie­den können.

Den ganzen Tag und auch die Nacht hindurch haben wir ruhiges Segeln bei achter­lichem Wind und nur mäßiger Welle. Wir brauchen die Schoten der Passat­bese­gelung (backbord Code 0 aus­ge­baumt, steuer­bord Fock aus­ge­baumt) nicht ein einziges Mal anzu­fassen.

Am Morgen dann ein Aufreger: unser IridiumGo funktioniert nicht. Unsere gesamte Offshore-Kommu­nikation läuft darüber: Gribfile-Wetterberichte ebenso wie Positionsmeldungen und Textnachtrichten oder Textmails. Grrr. Als IT-tech­ni­scher Laie mache ich das ein­zige, was ich kann. Ich starte das Pro­gramm neu. Nichts. Ich checke die Kabel­ver­bin­dungen zum IridiumGo. Nichts. Ich schalte das IridiumGo aus, indem ich seine Antenne ein­klappe. Nichts. Häh? Es geht nicht mal aus? Ich trenne es vom Strom. Nichts. Also baue ich es aus, öffne es und nehme die interne Batte­rie raus. Wieder eingelegt, Neu­start: Funktio­niert. Große Erleich­terung.

Ansonsten segeln wir weiter  unter unserer un­an­ge­taste­ten Passat­bese­gelung. Etmal 159 Seemeilen laut Logge, zusammen mit den 29 von gestern Vor­mit­tag haben wir also bisher 188 See­mei­len zurück­gelegt.

Die neuen Wetterberichte zeigen immer deut­licher, dass wir auf keinen Fall direkt bis zur US-Ostküste durch­gehen können. Ende der Woche soll eine Kalt­front aus dem Norden die Wetter­lage ziem­lich auf­mischen. Wir planen also jetzt etwas kon­kreter einen Ab­stecher zu den Bahamas (leider ohne Land­gang) und freuen uns darauf. Außer­dem keimt etwas Hoff­nung auf, viel­leicht doch noch ein ganz beson­deres Sehn­suchts­ziel anlaufen zu können.

Da gibt es noch einen Wunsch

Unser Weg nach Norden Richtung USA hängt ja unter anderem eng damit zusammen, dass wir die Hurrikansaison nicht in der Karibik verbringen wollen. Es ist Ende Mai, der erste tropische Sturm dieser Saison (Arthur) war bereits unter&­shy;wegs, anderer­seits sind für diese Jahres­zeit auch noch un­typisch viele „Norder“ an der US-Ost­küste aktiv, starke Nord­winde, die eigent­lich nach Ende April nicht mehr so häufig und so heftig vor­kom­men sollten. Zum Wochen­ende ist wieder ein kräf­tiger Norder ange­sagt. Norder gegen Golf­strom, das ist ein echtes NoGo. Wir beschäf­tigen uns wieder einmal ziem­lich intensiv mit dem Wetter. Und zwar mit den Prognosen, aber auch live. Das bringt eine Passage fast unweigerlich mit sich.

Wie schon gestern sehen wir auch heute Nacht eine Un­menge wetter­leuch­tender Blitze über Puerto Rico und Hispaniola, der Insel, die sich die Domini­kanische Repu­blik und Haiti teilen. Wir segeln in eini­ger Ent­fernung an den Inseln vorbei, um einen aus­reichenden Sicher­heits­abstand zu den ausge­dehnten Flach­wasser­gebieten nörd­lich dieser Küsten halten zu können. Die Navidad Bank und insbe­sondere die Silver Bank sind berüch­tigte Schiffs­fried­höfe und sorgen durch den steilen Anstieg des unter­seeischen Bodens aus großer Tiefe auch bei mäßigem See­gang schon für ein chaotisches Wellenbild. Aber unser Kurs ist weit genug nörd­lich gesetzt, wir spüren davon nichts, sondern haben eine ruhige See bei aller­dings auch nach­lassendem Wind. Nach fast 50 Stunden Passat­besege­lung wechseln wir auf Groß und Code 0. Der Wind schralt und nimmt ab, die wahre Wind­geschwin­digkeit liegt immer wieder unter 10 Knoten, scheinbar aus 110°. Wir pendeln zwischen 4 und 5 Knoten Fahrt, da ist Geduld gefragt. Unser Etmal liegt bei 139 See­meilen. Uns geht´s gut, wir kommen voran und die Sonne scheint.

Am dritten Tag der Passage genießen wir weiterhin traum­haftes karibisches Segeln, auch wenn der Wind in Stärke und Richtung jetzt etwas mehr variiert. Etmal 160 Seemeilen. Fast kein Schiffs­verkehr, nur ein Frachter in der Nacht auf Gegen­kurs, er passiert uns in 3 See­meilen Abstand. Blöd ist nur, dass er auf dem AIS wegen der ver­bauten Mini-Antenne erst in etwa 6 See­meilen Ent­fernung auf­taucht, ich muss dringend einen Splitter ein­bauen oder gleich das AIS tauschen. Das war schon für St. Martin geplant, aber wegen Corona konnten wir die Insel leider nicht an­laufen. Die Lichter des Frachters kann ich aber in der klaren Nacht schon Sehr viel früher erken­nen und auch auf dem Radar erscheint er natür­lich viel früher, also kein Grund zur Sorge.

Interessant ist, dass wir um uns herum nur tief­blaues Wasser sehen, im wahrsten Sinne übri­gens. Auf diesem Törn hatten wir bisher fast nur Tiefen, die das Echolot weit über­fordern. Es kann nur bis knapp über 100 Meter präzise an­zeigen. In der Spitze waren es über 8 000 Meter Wasser­tiefe im Puerto Rico Graben. 

Nur tiefblaues Wasser heißt auch, dass wir selbst die Turks- und Caicoinseln nicht sehen können, obwohl wir nur in gut 12 Seemeilen Ent­fernung an ihnen vorbeisegeln. In der Nacht­erkennen wir aller­dings den Lichtschein von Grand Turk und am Tag – da sehen wir ein besonderes Phänomen. Wir biegen gegen Mittag an der Nord­spitze der Caico­inseln nach Bac­kbord in die Caicos Passage ab. Südlich der Inseln erstreckt sich über rund 50 Kilo­meter in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung die nur 2 bis 5 Meter tiefe Caicos Bank. Wohl­gemerkt: rund­herum ist es überall über 2 000 Meter tief! Über diesem Flach­wasser­gebiet heizt sich die Luft so auf, dass sie schnell auf­steigt und ein im­po­santes Wolken­gebilde ent­stehen lässt. Das beein­druckendste daran ist aber, dass die Wolken an der Unter­seite türkis­blau erscheinen, weil das Leuchten des Flach­wassers sich an ihnen spiegelt. Ein un­glaub­licher Anblick.

Kaum zu fassen auch, wie oft ich die ausge­worfene Angel einholen muss. Wirklich alle nase­lang biegt sie sich und ich darf ein weiteres Mal Sargassum-Seetang vom Haken ent­fernen. Würde ich ihn nicht wieder in unser Kiel­wasser werfen, Flora würde inzwi­schen aussehen wie eines der tang­gedeckten Laeso-Häuser. Wer die nicht kennt: unbedingt googlen. Sie scheinen der Phantasie von J.R.R. Tolkien entsprungen zu sein und eigent­lich nach Mittel­erde zu gehören. Tat­säch­lich aber haben die Fischer auf der däni­schen Kattegat-Insel früher ihre Fachwerk-Häuser mit Seetang gedeckt. Einige wenige dieser Hütten mit dem wulstigen Dach sind noch erhalten. In den Look-Alike-Contest wollen wir mit Flora dann doch nicht ein­steigen.

Ein kleiner Punkt im weiten Ozean

Warum wir nun nach West-Süd-Westen abgebogen sind? Weil in gut 100 See­meilen Ent­fernung etwas auf uns wartet. Schon seit langer Zeit steckt in meiner elek­tro­nischen See­karte auf dem iPad eine virtu­elle Steck­nadel. Da geht’s jetzt hin. Noch den Tag Tag heute und die an­schließende Nacht­fahrt, dann sollten wir da sein. Wir sind sooooo ge­spannt!

Nach etwas über vier Tagen fällt der Anker am Hogsty Reef ! Der Sehnsuchts­ort, die virtu­elle Stec­knadel, ist erreicht: Zwei unbe­wohnte Sand­flecken auf dem nicht ganz voll­ständigen Ring eines ansonsten zumeist über­spülten Korallen­riffes. Drum­herum tiefes blaues Wasser, im Inneren der etwa 5 Kilo­meter breiten und 9 Kilo­meter langen Lagune ist es dagegen nur 2 bis 7 Meter tief. Es ist genauso, wie es Steven J. Pavlidis in seinem Revier­führer be­schreibt: „The closest thing that you will find to a true coral atoll in the North Atlantic Ocean“. Ein ziemlich perfektes Korallen-Atoll im Nord­atlantik. Eines von nur fünf! Drei davon liegen in Belize, wohin wir gerne im näch­sten Winter segeln wollen. Es sind das Glover Reef, das Light­house Reef und das Turneffe-Atoll. Die riesige Cay Sal Bank gehört wie das Hogsty Reef zu den Bahamas, liegt aber in deren Süd­westen nahe an Kuba und hat als ab­sin­ken­des Atoll ein Riff, das nicht schnell genug dagegen an­wächst und somit zumeist nicht mehr bis an die Ober­fläche reicht. Insgesamt also kein Ver­gleich mit den über 400 Atollen im Pazifik und im Indischen Ozean.
Das flache Riff von Hogsty Reef ist aus der Ent­fer­nung kaum auszumachen. Als erstes fallen noch die Reste der beiden großen Schiffs­wracks auf dem Riff auf. Wir nähern uns von Nord­osten und sehen etwas, was zu­nächst wie ein Schiff in Fahrt wirkt, sich beim Näherkommen und in einem anderen Blick­winkel als ein zusammen­ge­fallenes rostiges Über­bleibsel eines 1963 im Hurrikan auf dem Riff gestran­deten Frachters entpuppt.

Trotz gut ein Meter hoher See können wir die Brandung auf dem Riff erst spät erkennen. Unser Tiefen­messer zeigt da noch drei Striche an – das Echolot kann keinen Grund finden. Erst etwa 100 Meter vor der Einfahrt ändert sich das, der Grund steigt rapide an und wir ankern in Lee des Sand­fleckchens Northwest Cay auf 5 Metern Wassertiefe und sandigem Grund. Die aktuelle See­karte weist hier ein Leuchtfeuer auf, aller­dings ergänzt mit dem Hinweis “Not working 10/07”. Ein Blick auf das halb verfallene Stein­türmchen zeigt, das dieses Feuer vermutlich nie wieder leuch­ten wird. Die Idee in die Lagune einzu­fahren verwerfen wir. Zwar reicht die Tiefe aus, aber die überall verstreuten Korallen­köpfe können wir jetzt am Morgen noch nicht gut erkennen, weil wir die Sonne nicht im Rücken haben und sie noch nicht sehr hoch steht. Außerdem baut sich in der großen Lagune bei den 14 Knoten Wind doch schon wieder eine spürbare Windsee auf.

Traumziel erreicht

Auf früheren Seekarten findet sich für das Hogsty Reef der Name „Les Etoiles“ und so feiern wir diese kleine Stern­stunde für uns mit einem franzö­sischen Früh­stück mit Crois­sants frisch aus dem Ofen und einer Schale Café au Lait. Danach geht’s in die Koje, noch ein bisschen Schlaf nach­holen.

Mit einem breiten Grinsen machen wir uns vom Hogsty Reef aus, über dessen Riff sich die Wellen jetzt doch ordentlich brechen, wieder auf den Weg. Was für ein Geschenk, dieses Juwel ganz für uns allein gehabt zu haben, nach vier Tagen und Näch­ten Nonstop-Anreise wussten wir es vielleicht auch beson­ders zu schätzen. Trotzdem, nachdem wir noch ausgiebig im kristall­klaren Wasser ge­schnor­chel und gut ge­gessen haben, ziehen wir den Anker wieder aus dem Sand­grund und machen uns auf zur nächsten Nachtfahrt. 

Nach Clarence Town auf Long Island, Bahamas, soll es gehen. Dort wollen wir in der Flying Fish Marina tanken, hauptsächlich deshalb,  damit not­wendi­gerweise das Ein- und Aus­klarieren in den Bahamas ver­bunden ist. Das Kla­rieren würde das Cruising Permit für die USA erleichtern.

Nur – heute ist Samstag. Vielleicht sollten wir uns doch lieber noch einmal nach den Öffnungszeiten erkun­digen. Inter­net haben wir ja leider nicht an Bord, aber über Iridium geht eine Mail an Ken, den Koor­dinator bei Salty Dawg, gleich mit der Frage ver­bunden, ob die Über­sendung des Permits an die Tank­stelle schon er­folgt ist. Schnelle Ant­wort: Permit ja, Öffnungs­zeiten: momen­tan sams­tags und sonn­tags geschlossen. Und noch eine zweite Mail kurz danach: Man habe leider eben bemerkt, dass Montag wegen Feier­tag auch zu sei.

Na gut, beim Segeln ist Flexi­bilität gefragt. Einmal mehr dispo­nieren wir um und Kurs auf Conception Island, noch einmal 40 Seemeilen weiter. Unter­wegs erfolgt die Ab­sprache mit Ken wegen der Ände­rung hinsicht­lich unseres Tank- und Klarierungs­stops. Er ist jetzt für die Ramora Bay Marina auf Harbour Island im Norden von Eleuther geplant. Mitt­woch oder Donners­tag, Frei­tag ist schon wieder Feier­tag.

Um 16 Uhr fällt schließlich der Anker in der Rocky Bay auf 4 Metern Wasser­tiefe vor dem unbe­wohnten Conception Island. Vor uns liegt ein zwei Kilo­meter langer traumhafter Sand­strand, unter uns so unver­schämt klares Wasser, dass Schnor­cheln zum Pflicht­programm wird.

Es folgt allerdings eine törn­plane­rische Rolle rück­wärts. Die Ramora Bay Marina sieht bei näherer Betrach­tung doch, sagen wir mal, schwierig aus. Es gibt zwei Einfahrten. Eine an der Nord­küste, nur mit viel Umweg zu erreichen, die dann an dem berüch­tigeten Riff „Devils Back­bone“ in einer Art und Weise entlang­führt, dass der Revier­führer ihr und dem Riff nicht nur mehrere Seiten widmet, sondern zudem auch aus­führt, dass man unbe­dingt (jeden­falls die ersten paar Male) einen Lotsen an Bord nehmen sollte. Das Ganze ge­spickt mit histo­rischen Schiffs­unglücken auf diesem Riff und dem Bei­spiel einer Yacht, deren Besit­zer meinte nach dem ersten Mal mit einem Lotsen bei der nächsten Passage keinen mehr zu benö­tigen (was natürlich übel schief ging).

An der Ostküste gibt es zwischen Eleu­thera und Harbour Island. eine zweite Einfahrt. Die sieht auf den ersten Blick gut aus, bis auf den Hin­weis auf die starke Strö­mung in der See­karte und dem Ver­merk „E.N.A.“. Schaut man genauer nach, bedeutet das „Eye Navi­gation Area“. Gutes Licht und ruhige bis mode­rate Winde sowie Seegangs­bedin­gungen seien erfor­der­lich, um in diesem Bereich sicher zu navi­gieren. Hm. Von der Ein­fahrt bis in den Hafen ginge es auf einer über­wiegend unmar­kierten bogen­förmigen Drei­vier­tel­kreis-Strecke, die uns meistens nur wenige Dezi­meter Wasser unter dem Kiel ver­spricht, zwischen den Riffen hin­durch. Schaut man zur Ab­wech­slung in die Sonar­charts von Navionics, würden wir dagegen eine halb­meter­tiefe Furche in den Grund pflügen müssen. Das Risiko möch­ten wir dann doch nicht ein­gehen.

Wohin denn nun?

Mit Helena und Steve von der Amalia disku­tieren wir die Mög­lich­keiten. Wir könn­ten auch in Nassau oder Free­port den Papier­kram erledigen, bräuch­ten dafür aller­dings wieder eine neue Aus­nahme­geneh­migung. Oder wir ver­zichten ganz auf den Klarierungs­stop, nutzen nur die „Innocent Passage“ durch die Bahamas und fahren direkt in die USA. Je nach Ankunfts­hafen würde das (laut Salty Dawg) ein nur geringes oder aber sehr hohes Risiko hinsicht­lich des Cruising Permits bedeu­ten.

Letztlich entscheiden wir uns, die 40 See­meilen wieder zurück nach Süden zur Flying Fish Marina zu segeln, der Wind scheint günstig dafür zu sein und die Erlaub­nis für diese Marina haben wir ja schon.

Am Ende heißt das zwar, dass wir quasi auf unserer alten Kurs­linie zurück­segeln, obwohl genau dieser Abschnitt der einzige etwas rumpe­lige auf der insge­samt wunder­bar ange­nehmen Passage von den USVI bis hier in die Bahamas war. Dafür haben wir aber zwei wunder­bar ruhige Tage in dieser erneu­ten Traum­bucht verbracht. Noch eine Traum­bucht, benutze ich das etwa infla­tionär?

Na ja, sagen wir mal so: Das Wasser ist hier so klar, dass man vom Anker aus an 30 Metern Anker­kette entlang zum Schiff sehen kann. So durch­sichtig, dass wir im Mond­licht bei Wind­stille die Riffe im Sand­grund in 4,20 Metern Wasser­tiefe erken­nen können. So trans­parent, dass wir von Deck aus die Koffer­fische beob­achten können, die an der Anker­kette den Sand weg­pusten, um ihre Beute aufzu­spüren. Sogar die Haie, die es sich in Floras Schatten auf dem Grund bequem gemacht haben, können wir leicht aus­machen.

Einmal erspähen wir sogar zwei Zitronen­haie (die werden etwa gut 3 Meter lang) und einen Ammen­hai (wird über 4 Meter lang) gleich­zeitig, aber vor die Kamera kriegen wir sie bis­her nur einzeln. Wir schätzen, dass „unsere“ Haie noch nicht ganz aus­ge­wachsen sind.

Außerdem gibt es in der Bucht noch ein vom Boot aus schnor­chelnd gut zu erreichendes Riff, an dem wir neben vielen anderen Fischen auch einen impo­santen Nassau-Zacken­barsch und mehrere bunte Königin-Drücker­fische vor die Linse be­kommen.

Den herrlichen hellen Sandstrand vor der leicht hügeligen und grünen Küste dürfen wir ja leider nicht betreten. Obwohl das hier wohl kaum jemand be­mer­ken würde, halten wir uns natürlich daran. Toll an­zu­sehen ist er allemal.

Ein paar Squalls gehen durch und sorgen neben der dramatischen Licht / Schatten-Kulisse auch für das bekannte Fenster auf – Fenster zu Spiel. Fenster zu heißt es auch in der ersten Nacht hier: tat­säch­lich ein Mücken­angriff zur Däm­me­rung – nach Italien zum ersten Mal wieder. Wir sind ver­wöhnt.

Früh um 6 Uhr geht’s wieder los, wir sind zum Sonnen­auf­gang unter­wegs, um recht­zeitig in der Flying Fish Marina anzu­kommen. Aus dem Flach­wasser vor Conception Island raus, Segel getrimmt und Angel ausge­worfen. Als ich mich um­drehe, um ins Cockpit zurück­zu­kommen, rauscht sie schon aus. Das ging schnell. Wir ver­suchen, etwas Fahrt aus dem Schiff zu nehmen, aber die Fock lässt sich nicht ein­rollen. O.k., da küm­mern wir uns dann später drum. Erst­einmal den schönen Tunfisch reinholen, der da so vor­schnell ange­bissen hat. Dann muss er noch auf dem in der Welle schwan­kenden Achter­deck ausge­nommen und file­tiert werden, aber auch das bekomme ich inzwi­schen immer besser hin (selbst vor dem Frühstück).

Der Rest der Fahrt verläuft angenehm ereignislos, Bei etwa 17 Knoten Wind rauschen wir dahin und haben die 40 See­meilen schon am Mittag hinter uns.

Nur: die Fock lässt sich leider immer noch nicht ein­rollen. Also muss sie runter und das würden wir gerne vor dem flachen und mit Korallen ge­spickten Gebiet um die Flying Fish Marina er­le­digen. Das heißt aller­dings, dass wir gegen einen knappen Meter Welle motoren müssen, um die Fock aus der Vorstagsnut auf das Vor­schiff herunter­zu­zerren. Dort wird sie erst­mal an der Reling be­festigt und wir motoren zur Tank­stelle.

Alles anders

Wir sind über­rascht, dass wir nicht wie erwartet und von den Salty Dawg ange­kündigt ein­kla­rieren und aus­klarieren können bezie­hungs­weise müssen. Die Marina­mit­arbeiter erkären uns, die Behörden wären infor­miert und das würde jetzt in Covid-Zeiten so voll­kom­men aus­reichen.

Ob ein Tankbeleg als Ein- und Aus­klarierungs­nachweis der Bahamas für den Immi­gration-Officer in den USA wirk­lich aus­reicht? Wir werden sehen, fragen aber vorsichts­halber noch einmal bei Salty Dawg an. Die erste Spontan­antwort ist nicht sehr be­frie­digend, möglicher­weise hätten wir uns den Tank­stop auch sparen können. Ist aber egal, für eine Passage hatte sich sowieso kein aus­rei­chendes Wetter­fenster aufgetan.

Weiter geht’s zum Ankerplatz östlich des Hafens, direkt hinter dem Riff. Er entpuppt sich als mehr mit Felsen durchsetzt als von uns erwartet, aber wir finden einen Sand­flecken und der Anker hält sofort. Widmen wir uns also wieder unserem an die Reling gelaschten Vor­segel.

Ob wir durch den Tankstop in Clarence Town nun aus­klariert  sind oder nie ein­kla­riert haben, ist egal.

Nordwärts Richtung USA

Eine nochmalige Rückfrage bei Salty Dawg zeigt, dass in den beiden von uns angestrebten Häfen Beau­fort und Norfolk das Cruising Permit auch bei direkter An­reise aus den USVI bisher nie ein Pro­blem war. Gut.

Helena und Steve von der Amalia entnehmen ihrem PredictWind-Wetter­bericht, dass morgen ein Wetter­fenster für die Passage aufgeht. Nach unserem Bericht von Wetter­welt hätten wir da­gegen zwar erst guten Wind, dann aber Montag 35 Knoten auf die Nase. Mal sehen, welche der Ent­wick­lungen sich bewahr­heitet. Wir werden morgen jeden­falls erst einmal weiter Richtung Norden gehen, glauben aber nicht, dass das schon der Ab­sprung sein wird.

Für alle Fälle backen wir mal wieder Brot und füllen den Wasser­tank und die Batterien.

Wir sind uns einig: Das Wetter­fenster sieht derzeit nicht nach einer Nonstop-Passage in die USA aus. Die ver­schie­denen Wetter­modelle ergeben ziemlich unter­schied­liche Vor­her­sagen. Aber es sieht zu­min­dest schon mal nach einer guten Passage vorbei an den lang­ge­streck­ten Inseln Cat Island und Eleu­thera hinauf in die Abacos, im Nordosten der Bahamas. Die Insel­gruppe bietet zum einen den Vor­teil, dass von dort die Strecke hin­auf zur Chesa­peake Bay am kür­zes­ten ist. Außer­dem ken­nen Wiebke und ich die Inseln von einem Charter­urlaub vor 13 Jahren her, damals haben sie uns absolut begei­stert. Aller­dings sindsie vor nicht allzu langer Zeit von einem Hurrikan schwer ge­trof­fen worden. Es ist kaum abzu­schätzen, wie­viel bereits wieder­auf­ge­baut wurde und wieviel noch immer in Mit­leiden­schaft ge­zogen ist. Jeden­falls sind wir sehr ge­spannt.

Spannend gestaltet sich auch die Besuchsfahrt hinüber zur Amalia, wo wir zum Mahi-Mahi einge­laden sind. Helena hat den unter­wegs ge­fan­genen Fisch am Abend in der Pantry noch mal abgespült. Das reicht um Steve schnell von seiner Reini­gungs­arbeit am Pro­pel­ler wieder ins Cockpit zu scheuchen, denn sogleich leisten ihm drei Zitron­en­haie unter dem Schiff Ge­sell­schaft (und sie wirken ein biss­chen auf­geregt). Auch unser Bad fällt dadurch ziem­lich kurz aus. Aber: eine gute Stunde später scheinen die nun schon wieder sehr ruhigen Haie gemein­sam unter der Flora nach­zu­schauen, ob hier nicht auch Fisch­abfälle ent­sorgt werden. Ver­ständ­lich, sehen die bei­den Schiffe doch von unten iden­tisch aus.

Diesmal möchte ich die Haie dann doch nicht (wie beim letzten Mal den einzel­nen) schnor­chelnd foto­grafieren, lieber halte ich die GoPro ins Wasser und be­kom­me dadurch ein paar Auf­nahmen der drei. Ganz gemüt­lich ziehen sie ihre Runden. Aller­dings haben sie sich noch nicht ver­zogen, als wir zu zweit auf dem SUP-Board zum Essen hin­über zur Amalia paddeln – das Dinghy ist für die Über­fahrt fest ver­zurrt in den Davits mit Belly­bands, fest­gebän­dselten Fendern drin und Persen­ning drüber. Wir geben uns beson­ders viel Mühe, nicht ins Wasser zu fallen.
Wir brechen erst gegen 9 Uhr auf. Der Wind sollte passen, uns stehen etwa 200 See­meilen bevor. Bei 6 bis 7 Knoten Fahrt, sollten wir im Laufe des nächsten Tages an­kommen.

Zweimal rauscht heute bei uns die Angel aus, beide Male ziehen wir aber einen großen Barrakuda an Bord, fummeln den Haken aus seinem mit beein­drucken­den Zähnen bewehrten Maul und werfen ihn wegen der Ciguatera­gefahr wieder ins Meer.

Steve auf der im Buddyboating parallel zu uns segeln­den Amalia hat mehr Glück und fängt einen schönen Thun­fisch. Am Abend ist unsere Angel ein­ge­holt, falls wir morgen nicht mehr Glück haben, dürfen wir einmal mehr die Gast­freund­schaft auf der Amalia of London genießen. Dann wohl schon in den Abacos.

Und so kommt es auch.

Nach 29 Stunden schönen Segelns und einer Stunde motoren durch die Riff­passage und über das leuchtend türkisfarbene 3 Meter-Flach sind wir bei Marsh Harbour in den Abacos an unserem Anker­platz ange­kommen. Wegen der Nordost-Süd­west-Aus­rich­tung der vorge­lager­ten Cays ist er einer der weni­gen hier, die bei dem jetzt herr­schen­den Süd­wind guten Schutz bieten. Pittoresk geht allerdings anders.Mit Blick an Land und auch auf den Schrott unter Wasser wird überdeutlich, mit welcher Wucht und welchen Schäden der Hurrikan Dorian 2019 die nördlichen Bahamas verwüstet hat. Es ist herz­zer­reißend.

Auf die Schönheit des Ankerplatzes kommt es uns allerdings auch nicht so an, daes morgen schon weiter­gehen soll. Dann folgt der lange Schlag (690 See­meilen kalku­liert) nach Norfolk am Ein­gang der Chesapeake Bay.

Das Wetterfenster für die Passage sieht gut aus. Einen Teil der Strecke werden wir wahr­schein­lich motoren müssen, aber dafür wird am berüch­tigten Kap Hatteras kein widrig gegen den Golf­strom ste­hen­der Wind prog­nosti­ziert.

Das wollen wir nutzen.

Ralf Gerking (Text und Fotos), www.syflora.blog
 


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