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Schiffsprofil

Segeln mit Dschunkenrigg



Segeln mit Dschunkenrigg

24. September 2025
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Wer in Kiel-Wellingdorf durch den Hafen schlendert, bleibt vor der Ilvy von Antonia Grubert und Paul Schnabel stehen. Die beiden haben ihre Maxi 77 auf ein modernes Dschunkenrigg umgerüstet und sind nach ersten Testfahrten in Schweden von der Langfahrttauglichkeit überzeugt. Mehr Informationen über ihre Pläne: www. fiery-sails.de

Was habt Ihr für ein Schiff (Werft, Typ, Maße, Besegelung, Baujahr)?

Wir segeln Ilvy, eine Maxi 77 von 1978. In einem ausgedehnten Refit haben wir sie nach unseren Vorstellungen umgebaut und auf ein Dschunkenrigg umgerüstet.

Warum dieses Schiff? Welche Besonderheit gab den Ausschlag?

Mit Ilvy haben wir uns verkleinert: Zuvor sind wir eine Zweimast-Ketsch gesegelt. Eine Maxi 77 passte hervorragend zu unseren Bedürfnissen: viel Platz für wenig Boot (Backdecker), simple Wartbarkeit, robuste Konstruktion, gute Segeleigenschaften sowie ein geräumiges und sicheres Cockpit.

Was machte Euer Boot besonders, worauf legt Ihr wert?

„Sicher, funktional und simpel“ – daran haben wir uns bei Ilvy’s Refit orientiert. Diese Philosophie spiegelt sich in diversen Themen wider, zum Beispiel:

  • Trockentrenntoilette: keine Borddurchlässe, keine Chemikalien.
  • Seegrasmatratzen: brennt nicht, verträgt viel Feuchtigkeit, ist gesund und natürlich.
  • Simple Aufbewahrungssysteme: Euroboxen auf Schienensystem, Verstau-Netze
  • Beleuchtung: mobile USB-Lampen statt fest installierter Beleuchtung
  • Dschunkenrigg


Foto: Kristian Dittmann

Wieso habt Ihr das Rigg verändert? Woher stammt die Idee?

Vor acht Jahren habe ich (Paul) zum ersten Mal über Annie Hill („Voyaging on a small income“) von diesem Rigg gelesen und war schnell von den technischen Eigenschaften und Vorzügen fasziniert. Unsere Reise nach Schweden bot die perfekte Gelegenheit zur ausgiebigen Testfahrt, so wurde aus Träumerei Praxis!

Was sind die Hauptunterschiede zu einem konventionellen Rigg?

Technisch gesehen besteht unser Dschunkenrigg aus einem mit kräftigen Alurohren durchgelatteten, balancierten Segel, welches an einem unverstagten Mast gefahren wird. Im Gegensatz zu vielen älteren Dschunkenriggs werden die modernen Dschunkensegel mit Bauch (Camber) genäht. Das Rigg ist sehr simpel in der Technik, und dadurch leicht reparierbar, auch in einsamen Gegenden. Der unverstagte Mast bietet allein schon einige Vorteile: so federt er Böen ab und sorgt für ein ruhigeres Seegangsverhalten. Außerdem verringern sich die Fehlerquellen, die zu einem Riggverlust führen können, enorm. Statt vieler Wanten, Schäkel, Bolzen und Sicherungsringe gibt es nur noch zwei Punkte, die den Mast halten: die Einspannung in Rumpf und Deck. Durch die fehlende Verstagung pfeift es auch deutlich weniger bei viel Wind, und der Lärm unter Deck nimmt ab.

Das Handling macht den größten Unterschied. Wir reffen in zehn Sekunden: Fall fieren, Fall festsetzen, nachtrimmen. Und das auf allen Kursen, auch vor dem Wind bei sechs Beaufort – ohne einen Aufschießer fahren oder den Kurs ändern zu müssen. Allein durch das Eigengewicht kommt das Segel runter. Sehr eindrucksvoll ist das Segelbergen im Notfall: Fall lösen und in die Lazy-Jacks durchrauschen lassen. Das alles, ohne jemals das Cockpit zu verlassen.

Durch die robuste Lattung kann das Segel im Wind nicht killen. Bei der Wende sorgt das für angenehme, stressfreie Ruhe. Der Segelstoff wird geschont, und muss nur sehr wenig Last tragen, denn die Latten führen die wirkenden Kräfte in Mast und Schot. Dadurch wird hochfestes Segeltuch überflüssig. Es reicht Markisen- oder Persenningstoff zu verbauen. So auch bei unserer Ilvy. Das hat den weiteren Vorteil, dass das Segel an sich schon UV-fest ist. Das Segel bleibt immer angeschlagen, und es braucht keine weitere Segelgarderobe. Dadurch entfällt die Segellast unter Deck. Das Schiff wird geräumiger und trockener.

Das Rigg ist komplett selbstwendend, man muss nur Ruder legen. Einen Vorschoter gibt es nicht mehr. Die Eigenschaften am Wind sind vergleichbar mit denen eines üblichen Fahrtenriggs: Wir laufen die gleiche Höhe wie mit unserem originalen Bermudarigg (45 Grad zum wahren Wind). Bei Raum- und Vorwind kann bei uns kein Groß- das Vorsegel abdecken, sodass wir hier deutlich schneller geworden sind. Auch bei leichtem Wind kann das Segel durch die robusten Alurohre nicht einfallen, und produziert weiter Vortrieb. Durch die fehlenden Wanten kann das Segel auf 90 Grad zum Rumpf geöffnet werden. Das ist fast wie Spinnakersegeln – mit dem Unterschied, dass wir nur die Schot fieren müssen. Plus: Wir haben einen riesengroßen Sicherheitsgewinn, denn wir können den Wind beinahe 90 Grad von der falschen Seite bekommen, bevor es zur Patenthalse kommt. Vorwindkurse sind dadurch entspannt zu steuern. Auch die Patenthalse verliert ihren Schrecken: durch die Balancierung schlägt das Segel deutlich langsamer herum, und federt auf der anderen Seite aus. Das Verletzungsrisiko sinkt enorm. Wir segeln tatsächlich keine normalen Halsen mehr, nur noch Patenthalsen - auch bei ordentlich Wind und Welle.

Die Liste der Vorteile geht noch viel weiter, würde hier aber den Rahmen sprengen. Zusammengefasst: Ein Rigg, welches simpel in der Technik und noch simpler im Handling ist, leicht repariert werden kann, wenig Fehlerquellen aufweist, Performancevorteile bei Raum- und Vorwind bietet, gute Notlaufeigenschaften aufweist, Steuerfehler verzeiht und die Crew entlastet, macht auf See einfach Sinn – ganz besonders auf Langfahrt!

Wer hat das Rigg gebaut?

Ich habe das Rigg selbst gebaut, inklusive Konstruktion, Nähen, Laminieren und Einbau. Dass ich Schiffbau-Ingenieur bin, hat da durchaus geholfen. Außerdem hatte ich große Unterstützung durch die Junk Rig Association, einem internationalen Segelverein der sich mit den Dschunkenriggs befasst – ein besonderes Dankeschön geht hier an Arne Kverneland, auf dessen Design ich aufbauen konnte.

Der Knackpunkt war der unverstagte Mast: ein runder Mast aus Aluminium, der sich nach oben hin verjüngt, ist nicht so einfach von der Stange zu kaufen. Letztendlich konnte ich den Rohling eines Laternenmastes erwerben, der ziemlich genau meinen Anforderungen entsprach. Das Segel habe ich im Winter auf dem Dachboden genäht. Das Schnittmuster habe ich mit CAD erstellt, und dieses dann Paneel für Paneel auf die 40 m² Stoff übertragen. Das Segel konnte ich mit einer einfachen Haushaltsnähmaschine zusammennähen. Nur der Moment, als ich mit der Stichsäge ein fettes Loch für den neuen Mast ins Deck geschnitten habe wird mir als besonders heikel immer im Gedächtnis bleiben. Doch es hat sich gelohnt: Das Ergebnis hat alle unsere Erwartungen übertroffen.


Foto: Paul Schnabel

Ihr seid im Sommer damit fünf Monate in Schweden unterwegs gewesen. Wie sind Eure Erfahrungen?

Wir sind faul geworden. Das Segeln mit einer Dschunke ist sehr entspannt. Kein Segel anschlagen, kein Grübeln über Reffs und immer passgenaue Segelfläche. Wenn wir in Schweden von der Schärenautobahn in ein flaches Gebiet gesegelt sind, haben wir mit einem Handgriff ein paar Paneele heruntergelassen und sind langsam in die Bucht geglitten. Die Bedienung erinnert an ein Gaspedal. Je nach Situation lässt sich die Segelfläche, und damit die Geschwindigkeit, in Sekunden anpassen.

Auf jedem Kurs können die Segel, ohne Aufschießer gesetzt und geborgen werden, so haben wir unseren Motor, wenn überhaupt, nur ganz kurz laufen gehabt. Dank der entspannten Wenden sind wir auch enge Passagen mit Leichtigkeit hochgekreuzt. Das Aufklarieren im Hafen beschränkte sich aufs Leinen-Aufschießen.

Abgesehen von den Segeleigenschaften Hatten wir mehr Platz im Boot. Wir mussten keine zusätzlichen Segel verstauen und die Versetzung des Mastes ins Vorschiff sorgte für einen offenen und zugänglichen Salon. Ohne diese beiden Aspekte wäre es zu zweit für fünf Monate wohl deutlich ungemütlicher auf einem nur 25 Fuß großen Boot geworden.

Glaubt Ihr das Rigg funktioniert auch auf den Ozeanen?

Ja, definitiv! Unsere eigene Erfahrung ist zwar bisher auf die Ostsee limitiert, doch andere Segelnde haben mit Dschunkenrigg mehrfach Ozeane überquert und die Welt umrundet. Ein paar Beispiele:

  • Annie Hill und Pete Hill segelten mit ihrer Badger über 110.000 Seemeilen durch die Welt – inklusive Arktis und Antarktis.
  • Chris und Jess Bray sind mit ihrer Yacht Teleport die Nordwest-Passage von Halifax nach Prince Rupert gesegelt.
  • David Tyler segelte mit seiner Tystie mehr als 80.000 Seemeilen u.a. nach Alaska, Neuseeland und Island.

Das Rigg hat sich nach ihren Berichten hervorragend und auch unter widrigsten Bedingungen bewährt.

Interview: Kirsten Kurze

 


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